Die Vorderradaufhängung






Die Radaufhängungen haben die Aufgabe, beide Räder in einer Spur zu führen und Federbewegungen zuzulassen. Da die Vorderradaufhängung neben Führung und Federung des Vorderrads auch noch die Lenkung übernimmt, ist ihr Aufbau deutlich komplizierter als jener der Hinterradaufhängung. In den 50er Jahren gab es bei Motorrädern alle möglichen Systeme, von Kurz- über Langschwingen bis zur Telegabel. Heute findet man Schwingen nur noch bei Rollern, beim Motorrad hat sich in den letzten Jahrzehnten die Telegabel in allen möglichen Variationen durchgesetzt. Nur gelegentlich präsentiert der eine oder andere Hersteller Alternativen wie Achsschenkel- oder Radnabenlenkung. Die einzige von der Telegabel abweichende Variante, die sich zurzeit behaupten kann, ist das von BMW eingesetzte Telelever-System. Die Telegabel kombiniert Radführung, Übertragung der Lenkbewegung, Federung und Dämpfung in einem. Im Lenkkopf dreht sich in den beiden Lenkkopflagern ein Schaftrohr, das oben und unten mit den beiden Gabelbrücken verbunden ist. Diese nehmen die beiden Standrohre auf, in denen sich sowohl die Federn als auch die Bauteile für die Dämpfung befinden. Die Gleitrohre umfassen die Standrohre und gleiten mittels Lagern teleskopartig ineinander auf und ab.

Die Telegabel hat inzwischen einen hohen Entwicklungsstand erreicht und wird dank immer stärkerer Dimensionierung allen Anforderungen an die Fahrstabilität gerecht. Allerdings hat sie mit einigen prinzipiellen Nachteilen zu kämpfen. Die wachsenden Abmessungen treiben nicht nur das Gewicht in die Höhe, sondern erfordern auch eine höhere Losbrechkraft. Das ist die Kraft, die notwendig ist, um die Gleit- gegenüber den Standrohren aus ihrer Ruhelage zu bewegen. Mit höherer Losbrechkraft verschlechtert sich das Ansprechverhalten der Gabel, also die sensible Reaktion auf kleine Fahrbahnunebenheiten. Die Neigung der Gabel, die meist mit dem Lenkkopfwinkel übereinstimmt, bedingt neben der dynamischen Radlastverlagerung ein starkes Eintauchen der Front beim Bremsen. Zudem entsteht durch hohe Kräfte in Längsrichtung, zum Beispiel beim Bremsen, entsprechende Reibungskräfte in der Gabel und ein großes Biegemoment.

Zumindest im letzten Punkt kann die Upside-down-Gabel klare Vorteile für sich verbuchen. Wie bei der Telegabel sind bei ihr die Standrohre jene Rohre, die in die Gabelbrücken gespannt sind. Doch in diesem Fall umfassen die Standrohre die Gleitrohre. Der Abstand der Lagerstellen von Stand- und Gleitrohr ist bei der Upside-down-Gabel erheblich größer als bei der konventionellen Gabel; die Kräfte und damit die Reibung reduzieren sich. Außerdem hat die Upside-down-Gabel dank der größeren Durchmesser der Standrohre mehr Biegesteifigkeit. Im direkten Vergleich sind Uside-down-Gabeln in der Regel jedoch schwerer.

BMW setzt auf das Telelever. Schon die Bezeichnung verrät, dass das Prinzip der Telegabel zumindest teilweise beibehalten wurde. Wie bei der konventionellen Telegabel umfassen beim Telelever die Gleitrohre die Standrohre. Der Unterschied besteht in der Lagerung. Über dem Rad greift ein im Rahmen oder Motor gelagerter Längslenker mithilfe eines Kugelgelenks an den Gleitrohren an und stützt die Gabel nach hinten ab. Am oberen Ende sind die Standrohre ebenfalls gelenkig gelagert. Die längslenkergeführte Telegabel hat gleich mehrere Vorteile zu bieten: Durch die Anordnung des Längslenkers lässt sich das Eintauchen der Front beim Bremsen je nach Auslegung bis zu hundert Prozent eliminieren und damit ein vollständiger so genannter Bremsnickausgleich erzielen. Zudem nimmt der Längslenker über dem Rad einen großen Teil der Kräfte auf, das auf die Gabelholme wirkende Biegemoment wird geringer. Deswegen genügt den Stand- und Gleitrohren ein geringerer Durchmesser. Und das wiederum kommt nicht nur dem Gewicht, sondern auch der Losbrechkraft und damit dem Ansprechverhalten zugute. Tatsächlich tauchen BMW-Motorräder mit längslenkergeführter Telegabel beim Bremsen nur noch wenig ein und sprechen bereits auf geringe Bodenunebenheiten äußerst sensibel an.

Auch andere große Motorradhersteller haben sich bereits intensiv mit einer alternativen Vorderradaufhängung beschäftigt. Yamaha präsentierte im Jahr 1992 zum Beispiel das Modell GTS 1000 mit Achsschenkellenkung. Gelenkt wurde dabei über einen Achsschenkel, der drehbar in einem oberen und unteren Längslenker gelagert war. Obwohl diese Konstruktion ebenfalls mit Bremsnickausgleich, sensiblem Ansprechverhalten und stabilem Fahrverhalten glänzen konnte, hatte die GTS 1000 wenig Erfolg. Yamaha stellte die viel versprechende Konstruktion wieder ein.

Der italienische Kleinserienhersteller Bimota versuchte sich in den achtziger Jahren mit der Tesi an einer Radnabenlenkung. Dabei befand sich in der Radnabe ein kurzer Achsschenkelbolzen, der sich über einen Längslenker am Chassis abstützte. Bimota bekam diese Variante jedoch nie in den Griff, wodurch die Radnabenlenkung schnell wieder in der Versenkung verschwand.

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