Grundsätzlich
bestimmt das Zusammenspiel mehrerer geometrischer Daten des Fahrwerks das
Fahrverhalten. Wichtige Kriterien wie Handlichkeit und Stabilität
beeinflussen sich dabei gegenseitig. Der Radstand, also der Abstand
der beiden Radachsen voneinander, liefert dafür ein gutes Beispiel.
Tendenziell sorgt ein langer Radstand für gute Geradeauslaufstabilität,
steht aber einer überragenden Handlichkeit im Weg. Ein kurzer Radstand
wiederum unterstützt die Handlichkeit im Weg. Ein kurzer Radstand wiederum
unterstützt die Handlichkeit auf Kosten der Fahrstabilität. Bei
Sportmotorrädern bewegt sich der Radstand im Bereich von 1400 Millimetern,
bei großen Choppern kann er bis zu 1700 Millimetern lang sein.
Der Lenk- oder Steuerkopfwinkel ist der Winkel, den die Lenkachse
zur Horizontalen bildet. Die Lenkachse wiederum ist jene Linie, um
die das Vorderrad samt Radaufhängung beim Einschlagen schwenkt. Beim
Lenkkopfwinkel gibt es eine ähnliche Tendenz wie beim Radstand: Ein großer
Lenkkopfwinkel sorgt für gute Handlichkeit, ein kleiner für gute Stabilität
und umgekehrt. Der Lenkkopfwinkel bewegt sich im Bereich von 67 Grad bei
Sportmotorrädern bis 57 Grad bei großen Cruisern.
Ein weiterer wichtiger Fahrwerksparameter, der Nachlauf, hängt
unter anderem vom Lenkkopfwinkel ab. Der Nachlauf ist der Abstand zwischen
dem Radaufstandspunkt und dem gedachten Berührungspunkt der Lenkachse mit
der Fahrbahn, also praktisch der Weg, den das Rad der Lenkung nachläuft. Er
bestimmt einen wesentlichen Faktor, nämlich das Rückstellmoment der Lenkung.
Ein großer Nachlauf erzeugt ein hohes Rückstellmoment und wirkt
stabilisierend, erfordert aber hohe Lenkkräfte und steht damit der
Handlichkeit im Weg. Ein geringer Nachlauf fördert die Handlichkeit,
verschlechtert aber die Stabilität. Aktuelle Sportmotorräder operieren mit
zirka 90 Millimeter Nachlauf, große Cruiser können es mehr als 160
Millimeter bringen.
Wichtig für das Fahrverhalten ist die Massenverteilung eines Motorrads.
Deren Verteilung bestimmen die Lage des Schwerpunkts und die statische
Radlastverteilung. Ein niedriger Schwerpunkt und eine gute Konzentration der
Massen um diesen Schwerpunkt fördern die Handlichkeit eines Motorrads. Die
Höhe des Schwerpunkts nimmt bei breiten Reifen aber zudem Einfluss auf die
Schräglage. Ein Bike mit hohem Schwerpunkt erfordert bei gleicher
Kurvengeschwindigkeit weniger Schräglage als eines mit niedrigem
Schwerpunkt. Schwerpunkt und Radstand haben aber auch entscheidenden
Einfluss auf die dynamische Radlastverlagerung beim Bremsen und
Beschleunigen.
Beim Bremsen zum Beispiel verlagert sich abhängig von der Verzögerung das
Gewicht vom Hinter- auf das Vorderrad. Die vordere Bremsanlage ist im
Vergleich zur hinteren daher deutlich größer, denn sie muss bei den meisten
Motorrädern den größten Teil der kinetischen Energie in Wärme umwandeln. Bei
modernen Motorrädern kann es passieren, dass beim starken Bremsen die
dynamische Radlastverlagerung die statische Hinterradlast übersteigt. Die
Folge: Das Hinterrad hebt vom Boden ab (Stoppie). Beim starken Beschleunigen
dagegen kann das Vorderrad vom Boden abheben (Wheelie).
Ebenfalls wichtig für die Stabilität ist die Fahrwerkssteifigkeit.
Moderne Fahrwerke mit verwindungssteifen Rahmen und Komponenten verkraften
Motorleistungen von bis zu 180 PS. Noch Anfang der achziger Jahre waren
viele Fahrwerke von den damals rund 100 PS starken Motoren hoffnungslos
überfordert und zeigten eklatante Fahrwerksunruhen wie ausgeprägtes Pendeln.
In den letzten Jahren sind die Dimensionen von Rahmen und Radaufhängungen
beachtlich angewachsen. Während die Telegabel einer Honda CBX 1000 von 1979
einen Standrohrdurchmesser von 35 Millimetern aufwies, gibt es heute Gabeln
mit bis zu 50 Millimeter Durchmesser. Deshalb sind Fahrwerksunruhen
wie Pendeln inzwischen nur noch in abgeschwächter Form zu finden, dagegen
treten speziell bei besonders steifen Fahrwerken andere Erscheinungen wie
Lenkerschlagen verstärkt auf.
Pendeln ist eine Eigen- oder Resonanzschwingung des
Fahrer-Maschine-Systems, bei der sich das Motorrad mit einer Eigenfrequenz
von ein bis zwei Hertz, also ein bis zwei Schwingungen pro Sekunde, um
mehrere Achsen bewegt. Es tritt ab Geschwindigkeiten von 130 km/h auf und
kann in Extremfällen zur völligen Instabilität mit fatalen Folgen führen.
Moderne Motorräder neigen nur noch in abgeschwächter Form zum Pendeln, zum
Beispiel bei extrem ungünstiger Beladung oder mit abgefahrenen Reifen. Gegen
das Pendeln hilft nur eins: bremsen. Sobald das Motorrad den kritischen
Geschwindigkeitsbereich verlässt, stabilisiert es sich nämlich wieder.
Eine weitere Form der Eigenschwingung ist das Lenkerflattern, auch
Shimmy genannt. Es tritt zwischen 60 und 90 km/h bei locker
gehaltenem Lenker auf. Dabei bewegt sich die Vorderradaufhängung in einer
Drehschwingung um die Lenkachse, und zwar mit einer Frequenz von vier bis
fünf Hertz. Lenkerflattern ist in der Regel unkritisch und lässt sich durch
schlichtes Festhalten des Lenkers in den Griff bekommen.
Quelle: Perfekt fahren mit MOTORRAD(Dokument in PDF)