Schlecht gewuchtete Räder verursachen nicht nur Lenkerflattern
und Vibrationen, sondern gefährden im Extremfall Ross und
Reiter.
Von Holger Hertneck
Aus MOTORRAD 05/2001 Seite 164
Das Problem lässt sich leicht lokalisieren: Flattert trotz ebener Straße der
Lenker bei bestimmten Geschwindigkeiten oder treten bei höheren
Geschwindigkeiten lästige Vibrationen auf, sind meist schlecht gewuchtete
Räder die Ursache.
Doch was heißt eigentlich Unwucht? Vereinfacht steht Unwucht für eine
unsymmetrische Gewichtsverteilung am Rad. Dies kann verschiedene
Gründe haben: beispielsweise Fertigungstoleranzen bei der
Felgenproduktion oder Reifenherstellung. Deshalb werden Felgen und
Reifen vor dem Verlassen der Fabrik auf Rundlauf und Wucht kontrolliert.
Reifenhersteller kennzeichnen neue Reifen an der leichtesten Stelle mit
einem Farbklecks, damit der Reifen-Monteur diesen Punkt an der
schwersten Stelle der Felge, dem Ventil platziert.
Je höher die Fahrgeschwindigkeit, desto stärker wirkt sich eine Unwucht
aus. Aus nur fünf Gramm Unwucht entstehen bei 300 km/h 162 Newton
(N) Fliehkraft, die am Radumfang zerren. Bei zehn Gramm sind’s schon
gewaltige 323 N und bei 20 Gramm Unwucht fast
unglaubliche 646 N, also eine Kraft von rund 65 Kilogramm (bei 150 km/h
und 20 Gramm sind es immerhin noch 162 N). Diese Kräfte rasen an den
Rädern von Kawasaki ZX-12R oder Suzuki Hayabusa im Bereich der
Höchstgeschwindigkeit etwa 40mal in der Sekunde im »Kreis« herum. Die
daraus resultierenden Belastungen wandern zum Großteil über die
Radnaben und die Gabel beziehungsweise Schwinge in den
Fahrzeugrahmen.
Deshalb ist es dringend erforderlich, bei jedem Reifenwechsel das
betreffende Rad neu auszuwuchten. Da praktisch
jeder Reifenbetrieb über ein elektronisches Auswuchtgerät verfügt,
überlässt man diese Aufgabe am besten einem Profi. Je nach Anzahl der
benötigten Gewichte kostet Auswuchten zwischen fünf und acht Euro pro
Rad. Tipp: Vor dem Reifenwechsel einen Komplettpreis für Montage und
Wuchten vereinbaren.
Gelegentlich kommt es trotz gewuchteter Räder nach einer gewissen
Laufleistung zu rätselhaften Fahrwerksunruhen. Dann haben sich
möglicherweise die Wuchtgewichte verabschiedet, oder eine Bremsplatte
spielt den Verursacher. In dem Fall hilft nur wieder ein Besuch beim
Reifenhändler oder einer Fachwerkstatt, um das Rad neu zu wuchten
beziehungsweise den Reifen zu ersetzen.
Bikerforum SO 2
Wuchten kann auf zwei Arten erfolgen: dynamisch oder statisch. Das
dynamische Wuchten erfordert teure Gerätschaften, deren Anschaffung
sich nur für größere Betriebe lohnt, während statische Wuchtböcke bereits
für weniger als 50 Euro erhältlich sind. Der Unterschied dieser beiden
Techniken liegt darin, dass beim statischen Wuchten lediglich eine
gleichmäßige Massenverteilung zur Radachse erreicht werden kann, beim
dynamischen Wuchten hingegen zusätzlich eine gleichmäßige
Massenverteilung bezogen auf die Mittelebene des Rads.
Besonders bei den heutigen überbreiten Felgen empfiehlt sich
dynamisches Wuchten. Denn bei der statischen Methode kann es durch
eine ungleichmäßige Verteilung bezüglich der Radmittelebene zu einem je
nach Beschleunigung oder Geschwindigkeit des Motorrads entstehenden
Drehmoment um die Radachse kommen. Das Rad gerät ins Taumeln.
Hochwertige dynamische Wuchtgeräte zeigen deshalb das Gewicht und die
Position der Ausgleichsgewichte auf Gramm und Winkelgrad genau an.
Da die Lenkdynamik das Fahrverhalten stark beeinflusst, ist exaktes
Wuchten des Vorderrads wesentlich wichtiger als des hinteren. Auf die
Reifenabnutzung wirken sich Unwuchten vorn und hinten nahezu identisch
aus: Die Reifen fahren sich ungleichmäßig ab, was noch größere
Unwuchten erzeugt. Treten bei einer Ausfahrt unerklärliche Vibrationen
auf, suchen Sie einen Fachbetrieb auf.
Während dynamisches Wuchten für Otto Normalverbraucher nicht in Frage
kommt, da die erforderlichen Geräte viele tausend Euro kosten, kann sich
jeder im Fachhandel für wenig Geld Wuchtböcke besorgen. Statisches
Auswuchten funktioniert recht einfach: Zunächst wird das komplette Rad
inklusive Reifen und Bremsscheiben mit einer Achse versehen und auf den
Wuchtbock gesetzt. Alle alten Wuchtgewichte sollten entfernt werden.
Dann versetzt der Mechaniker das Rad in eine leichte Drehbewegung und
lässt es bis zum völligen Stillstand auspendeln. Nun befindet sich die
leichteste Stelle des Rads ganz oben. Nach Anbringen eines
Klebegewichts, beispielsweise zehn Gramm, wird der Vorgang wiederholt.
Ist dieselbe Stelle wieder ganz oben, muss das Gewicht erhöht werden, ist
diese nun unten, dann war das verwendete Gewicht zu hoch. Der Vorgang
des Auspendelns und Gewichtanbringens wird so lange wiederholt, bis das
Rad schließlich in jeder beliebigen Stellung stehen bleibt und nicht mehr
zu pendeln beginnt. Dann herrscht ein so genanntes statisches
Gleichgewicht.
Wer Klebegewichte verwendet, sollte darauf achten, diese
möglichst in Felgenmitte zu platzieren oder, noch besser, sie halbieren
und symmetrisch auf rechtem und linkem Felgenhorn anbringen. Das
verhindert ungewollte dynamische Unwuchten. Während Klebegewichte
nur zum einmaligen Gebrauch taugen, können so genannte
Speichengewichte mehrmals verwendet werden. Einige dieser
Kugelmodelle haben außerdem den Vorteil, dass sie sich je nach Lage auf
der Speiche (außen an der Felge oder weiter zur Nabe hin) aufgrund des
Hebelgesetzes unterschiedlich stark auswirken
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