Protokoll eines Niederganges

Protokoll eines Niederganges

Beitragvon Gernot » Sa 11. Sep 2010, 06:29

Tragödie auf der Hausstrecke: Hergebrannt von einer Kuh…

Geiles Mopedwetter! Den Verfasser dieser Zeilen hält es mehr nicht auf dem heimeligen Sofa. Weil die schnelle SPS streikt, wird zur Alternative gegriffen.

Streetsurfen mit einer 600er Monster ist immer noch besser als gar nicht zu fahren! Kurz entschlossen wird sich in die Kampfmontur gezwängt, und das Visier vom letzten Mückendreck gereinigt!

Geplant sind ein paar gemütliche Runden über die Hausstrecke das legendäre Wispertal, von Insidern auch einfach nur „Tal“ genannt.

An der Tanke wird kurz der Luftdruck überprüft, und ein bisschen Drückelchen abgelassen. Man weiß ja nie, was so alles passiert. Nachdem der Tank gefüllt ist, kann es losgehen. Die ersten Kehren gehen gut, die Monster prahlt zwar nicht mit übermäßig Leistung, aber man will ja eigentlich auch nur ein bisschen Blumen pflücken.

Kurze Rückblende. Mainz 16:30 Uhr:
Ein dem Verfasser bis dato unbekannter Kuh-Treiber macht sich ohne böse Absichten bereit, von Mainz aus seine abendliche Runde mit dem Moped zu drehen. Er plant eine flüssig zu fahrende Strecke, die ihn über Wiesbaden und Bad Schwalbach in das Wispertal führen wird. Noch ahnt niemand die sich nun anbahnende Tragödie.

Lorch/Rhein, 17:30:
Der Verfasser dieser Zeilen hat sich inzwischen locker eingewedelt, und wie zur Selbstbestätigung signiert er mit ein paar Schleifspuren den Asphalt. Hie und da streift das Knie sanft über das Teergemisch. Langsam und stetig wird die Performance erhöht.

Zur gleichen Zeit. Mainz/Bad Schwalbach 17:30:
Der unbekannte Kuh-Treiber verlässt gut gelaunt die Bundesstraße Richtung Bad Schwalbach, setzt den Blinker links, und befährt beschwingt die Querspange, die ihn zum hinteren Ende des „Tals“ führen wird. Kurzfristig plant er, das „Tal“ nicht in Richtung Lorch zu befahren, sondern sich den Spaß zu gönnen, der Wisper auf verwinkelter Straße in Richtung Bad Schwalbach zu folgen.

Lorch/Rhein, 17:45 Uhr:
Der Verfasser fliegt auf der letzten Rille durch die Rechts-Links-Kombination, um an der Abfahrt „Dörscheid“ die Monster zu drehen und den Heimweg einzuschlagen. Die Monster reißt mit Auspuff und Rasten den Asphalt auf, die Knieschleifer werden malträtiert – kurz: Der Verfasser bewegt sich auf der allerletzten Rille! Der Missionsparameter „Blümchen pflücken“ wurde in Richtung „Monster im Tiefflug“ korrigiert.

Noch kürzere Rückblende. Mainz/Lorch, 17:43:
Der Kuh-Treiber erreicht die Abfahrt „Dörscheid“ und sieht einen völlig Gestörten auf einer Ducati Monster mit reichlich Speed, aber korrekt aber korrekt gesetztem Fahrtrichtungsanzeiger aus der Kurvenkombination geflogen kommen.

Mainz/Lorch, 17:48:
Durch leichtes Kopfnicken grüßen sich die beiden Motorradfahrer. Ein leichtes Blitzen in den Augen des Kuh-Treibers, lässt den Verfasser zu einem für ihn verhängnisvollen Schluss kommen:
„Der will´s wissen!“

Innerhalb weniger Sekundenbruchteile wird abgewogen: 600ccm gegen 1100ccm, Monsterfahrwerk gegen Telelever, dazu umfassendste Ortskenntnisse!!! DAS könnte klappen! Erst jetzt sieht der Verfasser, dass der Kuh-Treiber nicht unbedingt zur Gilde der Warmduscher zu zählen ist. Angeschliffene Knee Pads senden erste Warnsignale aus. Diese werden natürlich tunlichst missachtet, und der Verfasser reiht sich abwartend hinter dem Kuh-Treiber ein. Sicher, die eingeschlagene Richtung ist arges Winkelwerk, aber eine BMW? Pah!

Lorch/Mainz 17:50:
Um es gleich vorwegzunehmen: Was jetzt folgt, ist eine Trainer-Stunde für den Verfasser dieser Zeilen. Die ersten Meter werden leicht wedelnd unter die Räder genommen. Eine langgezogene Links bietet sich monstermäßig für den finalen „Abschuss“ an. Also kurz den Abstand etwas vergrößert, Anlauf nehmen, und mit vollem Speed dem Kuh-Treiber außen herum den Garaus gemacht! Ein guter Plan.
Doch was ist das? Die Kuh mit dem Cowboy oben drauf scheint plötzlich Flügel zu bekommen, und was noch viel schlimmer ist, der Kuh-Dompteur verlagert sein Gewicht leicht auf die kurveninnere Raste, und sein Arsch bewegt sich ebenfalls in Richtung Kurve. Sollte der etwa?!?! NIEMALS! Das kann nicht sein!

Durch den beherzten Anlauf gelingt es dem Verfasser die Monster am Hinterrad der Kuh zu halten. Doch der Kuh-Junge beherrscht sein Handwerk. Fast zeitgleich mit den Zylindern schleifen seine Knee Pads über den Asphalt und funken den Grad der Schräglage in des Cowboys Hirn. Ein perfektes Zusammenspiel!

So langsam ahnt der Verfasser, dass es hier für ihn was auf die Locken gibt. Hier ist nicht einer der Klapphelm bewehrten Opas am Werk. Hier dreht ein Könner am beheizten Gasgriff. Scheiße – das Fernsehprogramm wäre doch eigentlich auch gar nicht so schlecht gewesen!

Die kühlende Perforation im Lederkombi des Verfassers verweigert ob der plötzlichen Explosion der Körpertemperatur den Dienst, der Schweißfilm auf der Stirn lässt den Vollvisierhelm tief ins Gesicht rutschen. Die Augen sind weit aufgerissen und der Mund formt unhörbare Worte!

Der Kuh-Treiber kennt kein Mitleid. Mit traumwandlerischer Sicherheit werden die engen Kehren genommen, während der Verfasser die Monster völlig ausmelken und eine lebensverneinende Fahrweise an den Tag legen muss.

Jeder Zentimeter Gaszug wird genutzt, ja, es wird sogar nachgegriffen, um das letzte Fitzelchen aus dem Motor zu holen. Und das Hang Off wird immer extremer, um ein frühzeitiges Aufsetzen der Teile zu verhindern. Schleifen kostet Zeit!

Doch aller Einsatz nutzt nix – der Abstand zur Kuh wird größer und größer. Die einzige Hoffnung, dass ein spazieren fahrendes Auto den Vortrieb der Kuh bremsen könnte, erweist sich als Trugschluss. Kein Auto. Kein Mitleid. Die völlige Demontage eines “Helden” hat begonnen.

Erste Tränen der Enttäuschung in den Augen des Verfassers trüben den klaren Blick auf die Straße. In den Mundwinkeln bilden sich die ersten bitteren Schaumflocken, und die Augen zeigen eine deutliche Rötung.

Süßlicher Geschmack ist der Beweis dafür, dass der Verfasser sich Gift und Galle spuckend die Unterlippe blutig gebissen hat.

Der Cowboy beherrscht auch das Spiel mit dem Ego perfekt. Was bisher ein fairer Kampf war, wird nun zur endgültigen Hinrichtung. Rotes Aufleuchten verkündet, dass er seine Bremse betätigt, um den Verfasser auflaufen zu lassen.

An der Haltung des behelmten Kopfes ist zu erkennen, dass der Fahrer kurz in den Rückspiegel schaut. Ohne jede weitere Regung hebt er kurz die rechte Hand, winkt gönnerhaft, und verschwindet auf Nimmerwiedersehen im weiten Winkelwerk!

Mainz, 18:30:
Der Kuh-Treiber ist wieder zu Hause. Die Frage seiner lieben Frau, ob er nach der Fahrt duschen möchte, beantwortet er mit einem warmherzigen: „Och nö. Danke mein Liebling, ich bin ja nur spazieren gefahren. Dabei schwitzt man nicht.“

Lorch/Rhein irgendwo im “Tal” 18:10:
Der Verfasser dieser Zeilen steht noch immer fassungslos neben seiner Monster. Die Reifen sind vor Hitze blau angelaufen, an den Flanken haben sich Gummi-Knubbel gebildet. Die Bremsscheiben dampfen.

Nachdem drei Zigaretten zerbröselnd in den zittrigen Händen keinen Halt gefunden haben, kann die vierte endlich halb geknickt, aber halbwegs normal zwischen die Lippen geführt werden. Verstohlen wird kontrolliert, ob auch niemand den ganzen Vorgang beobachtet hat.

Lorch/Rhein irgendwo im Tal 19:30:
Die mittlerweile unruhig gewordene Gattin des Verfassers hat sich voller Sorge mit dem Auto auf die Suche gemacht. Sie findet ihren Mann auf der Leitplanke sitzend, mit stierem, leeren Blick die Monster anstarrend, und vollkommen depressiv.

Zwischen seinen Stiefeln eine zerknüllte Zigarettenschachtel und zehn halbgerauchte Kippen. Er murmelt undeutlich vor sich hin. Sein Haar hängt wirr und strähnig vom Kopf herab. Selbst mit zärtlichsten Worten dringt die sorgenvoll blickende Gattin des Verfassers nicht durch. Weiße Rinnsalspuren, von den Augen in Richtung Wangen verlaufend, sprechen eine deutliche Sprache: Der Mann hat geweint.

Lorch/Rhein 23:50:
Die Monster wurde von Freunden mit dem Anhänger in die heimische Garage verfrachtet. Der Verfasser dieser Zeilen ist immer noch nicht ansprechbar und verweigert jegliche Nahrung. Am nächsten Tag will die Gattin des Verfassers einen Arzt konsultieren.

Lorch/Rhein irgendwo im Wispertal 05:30:
Leichte Nebelschwaden künden vom herannahenden Tag. Die Luft riecht würzig, die Amsel singt ihr morgenliches Lied. Irgendwo an einer Leitplanke bläst der Wisperwind eine zerknüllte Zigarettenschachtel in den Straßengraben – und verteilt 10 halbgerauchte Kippen über die gesamte Breite der Straße.


Quelle: http://www.gaskrank.tv

Bild
Gernot
 

Re: Protokoll eines Niederganges

Beitragvon Moni » Sa 11. Sep 2010, 20:43

Beim Lesen lauft das vor meinem geistigen Auge ab!! ABSOLUT super gschrieben :top:
Liebe Grüße Moni
Verlängere dein Leben, nicht die Anzahl der Jahre

Unsere Träume können wir erst dann verwirklichen, wenn wir uns entschließen, einmal daraus zu erwachen (Josephine Baker)
Benutzeravatar
Moni
Posting Queen
 
Beiträge: 7123
Bilder: 24
Registriert: Do 6. Nov 2008, 12:51
Wohnort: Wolfsberg
Geschlecht: weiblich
Welches Motorrad fährst du?: Ducati Multistrada 1200S Pikes Peak
BJ 2013
Suzuki DR 650 SE
BJ 2000
Extras, Umbauten, Reifen, Zubehör: Ducati: Originale Seitenkoffer, SENA SMH10R
Pirelli Angel GT, Arrow statt Termignoni
Suzuki: liebevoll und top hergerichtet vom "Aufmotzer" meines Vertrauens

Re: Protokoll eines Niederganges

Beitragvon Manni_B » Di 12. Okt 2010, 11:57

:top: genial! :hello2:
Streich die Vergangenheit, denk nicht immer an die Zukunft. Fang an zu leben!
Benutzeravatar
Manni_B
 
Beiträge: 90
Bilder: 0
Registriert: Mo 16. Aug 2010, 14:47
Wohnort: Graz
Wohnort: Graz
Geschlecht: männlich
Welches Motorrad fährst du?: Honda Xl 1000 Varadero
Extras, Umbauten, Reifen, Zubehör: ABS

Re: Protokoll eines Niederganges

Beitragvon Gernot » Di 24. Apr 2012, 05:02

....auf mehrfachen Wunsch wieder hervorgekramt.
Gernot
 

Re: Protokoll eines Niederganges

Beitragvon madmexx » Di 24. Apr 2012, 08:53

+super

greets mexx
greets mexx 497


Denken ist die schwerste Arbeit, die es gibt.
Das ist wahrscheinlich auch der Grund, dass sich so wenige Leute damit beschäftigen.


Messer können jemanden verfehlen, Worte treffen hingegen immer!
Benutzeravatar
madmexx
 
Beiträge: 973
Registriert: Sa 9. Jul 2011, 18:27
Wohnort: Lieboch
Geschlecht: männlich
Welches Motorrad fährst du?: Moto Guzzi V 85 TT Speciale

Re: Protokoll eines Niederganges

Beitragvon arni.r » Di 24. Apr 2012, 17:30

Hey

Was solls +99 , besser als lesen, bikersmiley , und los tongue 497 image017

LG Arni +99
*Es muss nicht immer Sinn machen, manchmal
reicht es schon wenn es nur Spass macht*
Benutzeravatar
arni.r
 
Beiträge: 746
Bilder: 1
Registriert: Sa 24. Apr 2010, 17:56
Wohnort: 8020 Graz
Wohnort: Graz
Geschlecht: männlich
Welches Motorrad fährst du?: BMW R1200GS LC
Adventure Rallye 2018
Extras, Umbauten, Reifen, Zubehör: Alles was Spass macht, und ein bisschen mehr


Zurück zu Interessantes aus dem www

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 7 Gäste

cron